fbpx
Eine Fernbeziehung ist mit nahe und abstand verbunden

Selbst geschrieben und selbst erdacht :-))

Reisebekanntschaften

von Monika Richrath

5. November 2017

Als Kind bin ich wahnsinnig gerne gereist, denn ich hatte nur sehr selten Gelegenheit dazu. Reisen war damals – Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre – in meiner Familie etwas ganz Besonderes. Jede Reise war ein Abenteuer an sich und stand völlig losgelöst vom Zweck der Reise.

Zu reisen

bedeutete immer auch die drangvolle Enge meines Zuhauses zu verlassen, Weite zu erfahren, Räume und Landschaften zu entdecken. Sobald ich alt genug dazu war, verbrachte ich auf Reisen viel Zeit im Gang stehend, die Nase an die Fensterscheibe gedrückt und freute mich über die vorbeifliegenden Landschaften. Später, als ich größer war, ließ ich mich gerne vom Duft von Freiheit und Abenteuer am geöffneten Fenster umwehen – meistens sehr zum Ärger des Schaffners. Es machte auch nichts, dass es häufig nicht so gut roch am offenen Fenster. Wer weiß, vielleicht war ich in einem anderen Leben ein Hobo (das sind nordamerikanische Wanderarbeiter, die auf Güterzügen durch das Land reisten).

Als Teenager

hatte ich einige unglaubliche Reiseerlebnisse. Obwohl ich so schüchtern war, gelang es mir hin und wieder doch Reisebekanntschaften zu schließen, habe ich berührende, ja, auch intime Momente mit fremden Menschen geteilt, in denen wir uns gegenseitig unser Innerstes offenbarten.

Es tut mir heute noch leid, dass ich nie mehr herausfinden kann, was aus Dirk geworden ist, den ich im Zug von Neumünster nach Bonn kennenlernte. Wir gestanden uns beide ein starkes Interesse am eigenen Geschlecht ein, obwohl wir es zu diesem Zeitpunkt beide nicht lebten. Was wohl aus ihm geworden ist? Auch wenn ich es wohl nie mehr herausfinden werde, ist diese Reise tief in mir verankert, eine Erinnerung daran, was möglich ist im Leben.

Die Neugier auf fremde Orte hat mich nie verlassen

aber das Reisen an sich hat sich für mich sehr verändert seit dieser Zeit. Ich mag es immer noch in einem Fahrzeug zu sitzen und meinen Gedanken nachzuhängen (mit oder ohne Musik), während draußen Landschaften vorbeiflitzen. Aber

das Drumherum finde ich nun ziemlich anstrengend.

Das Reisen an sich ist nun eher zweckgebunden, eine Etappe auf dem Weg von hier nach dort, auf die ich oft auch verzichten könnte. Das hat natürlich viel mit meiner zwischenzeitlich entdeckten Hochsensibilität zu tun. Auf Reisen erlebe ich mich häufig als relativ schutzlos, bin den Gegebenheiten vor Ort ausgeliefert. Zu viele Menschen und zu wenig Platz. Selbst, wenn ich einen Platz reserviere, ist das keine Garantie dafür, dass ich die unangenehme Ausstrahlung der Person, die vielleicht neben mir Platz nimmt, auch aushalten kann. Oder dass es mit der Reservierung wirklich klappt. Oder dass es Menschen gibt, die sehr viel Raum einnehmen, z. B. indem sie sehr laut oder pausenlos reden, so dass ich von dem unaufhörlichen Redefluss, der über mich ausgegossen wird, erschöpft bin. Oder dass es Stress mit dem Gepäck gibt (das ja nur starke Menschen nach oben hieven können). Oder weil die Toilette out of order ist.

In Zügen verliere ich gerne schnell mal die Orientierung, weil alles so gleich aussieht. Es ist mir schon mehrfach passiert, dass ich meinen Platz nicht mehr wiedergefunden habe, weil ich aufgrund von Überforderung in einem sehr vollen Zug in einen hochgradigen Stresszustand geraten bin, in dem ich nicht mehr klar denken konnte.

Eine Zeitlang bin ich gerne mit dem Bus gefahren.

Das erschien mir die perfekte Alternative. Zu wissen, ich bekomme immer einen Platz, war schon mal gut. Zu wissen, dass ich mich nicht verlaufen kann auch. Bis mir dann aufging, dass Busreisen vorwiegend von eher jungen Menschen genutzt werden, die gerne auch laute Musik hören im Bus … Ganz zu schweigen davon, dass Toilettengänge im Bus noch schwieriger werden, wenn das WC ausfällt … Busreisen per se bedeuten auch nicht unbedingt den Komfort schlechthin, denn im Zug hat man meistens sowieso mehr Platz.

Wie ich es auch drehe und wende,

das Reisen bleibt heutzutage etwas Kompliziertes

und erfordert allerhand Vorbereitungen. Ich habe immer Musik dabei und schleppe Berge von Vorräten mit, die ich dann doch nicht aufesse, aus Angst, unterwegs nicht genug zu essen zu haben. Von glutenfrei hat die Deutsche Bahn ja noch nichts gehört … Aber es kann auch anders gehen. Dies hat mich meine letzte Reiseerfahrung gelehrt.

train 16764 640

Die Ausgangssituation: völliges Chaos

Ich war unterwegs in den Norden. Natürlich hatte ich einen Fensterplatz reserviert, damit ich ungestört aus dem Fenster sehen kann. Mit mir auf dem Bahnsteig: jede Menge Urlauber mit jeder Menge Fahrrädern. Der Zug kommt. Aus unbekannten Gründen fehlen in dem Zug zwei Waggons, einer davon ein Fahrradwagen. Noch dazu ist der von mir reservierte Platz im Großraumwagen gar nicht vorhanden, weil der Großraumwagen fehlt. Statt dessen finde ich im Wagen mit der richtigen Nummer eine komplett andere Bauart vor, nicht mit Abteilen, sondern aufgelöste Abteile, ein Zwischending zwischen Abteil und Großraumwagen. Mein reservierter Platz ist nicht am Fenster! Ich bin kurzfristig empört, suche mir dann aber einfach einen schönen Fensterplatz.

Die Schaffnerin kommt, bestätigt, dass heute freie Sitzplatzwahl ist, dass es also nichts ist mit der Reservierung und soweit ist alles gut, ich sehe zufrieden aus dem Fenster. An jedem neuen Bahnsteig ergießen sich neue Menschen in den Zug, neue Menschen mit und ohne Fahrräder. Alle sind ein wenig aufgelöst. Wir, die wir schon sitzen, erklären den Neuankömmlingen, sie sollen doch bitte Platz nehmen, wo sie welchen finden. Und wo wir alle schon angefangen haben, miteinander zu sprechen, sprechen wir auch weiter miteinander.

Unsere Gruppe wächst, informiert weiterhin alle Neuankömmlinge, die Gespräche wachsen, der einzige junge Mann in der Gruppe hievt hilfsbereit das Gepäck aller älteren Menschen nach oben. Ein blinder Mann wird gemeinsam zu einem Sitzplatz gelotst. Lebensgeschichten werden ausgetauscht, Bonbons herumgereicht.

Ich selbst sitze da, völlig fassungslos und genieße einfach nur die Situation. Dabei hätte ich vorher mir nichts dringender gewünscht als meine Ruhe. Nun sitze ich da, manchmal mit mir selbst beschäftigt und manchmal klinke ich mich auch in das Gespräch ein. Alle sind erstaunlich entspannt. Bis auf die junge Frau, die mit ihrer Mutter reist und unbedingt darauf besteht, dass es nicht sein darf, dass die Reservierung nicht funktioniert und sie will unbedingt auf dem Platz mit ihrer Nummer sitzen. Auch diese Situation löst sich fast spielerisch auf. Eine ältere Dame bietet einen Platzwechsel an, die junge Frau entspannt sich und kann dann sogar am Gespräch teilnehmen.

Natürlich befragen wir uns gegenseitig über unsere Reiseziele und wie der Zufall es so will, reist die Dame neben mir genau auf die gleiche Insel. Wir kommen natürlich ins Gespräch und ich lege mein Buch weg. Die Reise vergeht wie im Flug. Auf dem Schiff warten der Mann und die Schwiegermutter meiner Reisebekanntschaft. Ich mache es mir an Deck gemütlich und genieße die Seeluft. Und plötzlich ist sie wieder da. Der Mann kommt und geht. Sie bleibt. Wir plaudern ganz ungezwungen vor uns hin und erst, als die Fähre anlegt, verabschieden wir uns. Wir haben uns alles mögliche erzählt aus unserem Leben. Aber die Namen haben wir nicht ausgetauscht …

Hinterher habe ich mich gefragt, warum die deutsche Bahn eigentlich dieses Raumkonzept aufgegeben hat, es war eigentlich sehr angenehm … und mich gewundert, wie einfach es ist, eine potentielle Stresssituation in etwas Schönes zu verwandeln. Vielleicht (bestimmt!) lässt sich das auch auf andere Situationen transportieren …

Haben Sie auch so schöne Reiseerlebnisse? Was sind Ihre Geheimtipps für entspanntes Reisen? Wie immer freue ich mich über Ihre Kommentare.

Herzlichst,

Ihre
Monika Richrath

Über mich

Monika Richrath

Ich bin Monika Richrath, Mentorin und Coach für EFT (Klopfakupressur). Seit 2012 schreibe ich hier sehr PERSÖNLICH über die Themen, Hochsensibilität, Gesundheit, Psychologie, EFT und (Entwicklungs)Trauma.

Vielleicht gefällt dir auch

Rauhnächte im Jahr 2023

Rauhnächte im Jahr 2023

Die Rauhnächte haben sich über die Jahre für mich zu etwas ganz Besonderem entwickelt. Weihnachten an sich hat in 2023 keine

5 Kommentare

  1. Edita

    Liebe Monika,
    am liebsten reise ich mit der Bahn und ein Kaffee im Intercity Köln- Berlin gehört für mich zu den schönsten Momenten auf dem Weg. Ich habe schon mit einem Reisenden eine Wette gemacht(Frage: wo der Zug endet), leider verloren und als Genugtuung Kaffee spendiert. Wie viele nette, belanglose Gespräche hat man schon geführt und später lange darüber nachgedacht…Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt. Wie wahr 🙂 Einfach offen bleiben und auf andere zuhören. Und das iphone weg legen 🙂
    Liebe Grüße
    Edita

    Antworten
    • Vielen Dank, liebe Edita. Nach meiner letzten schönen Reiseerfahrung versuche ich das jetzt bei der nächsten Reise noch mal … Liebe Grüße, Monika

      Antworten
  2. Vielen Dank, Alex! ich wünsche dir ein schönes neues Jahr und gutes Ankommen 🙂 Liebe Grüße, Monika

    Antworten
  3. Pia Maria

    Danke Monika für diesen sehr schönen Blogartikel.
    Ich hatte beim Lesen teilweise eine Wohlige Gänsehaut,weil ich mich „gesehen“ fühlte
    Herzlichen Dank dafür

    Antworten
    • Gerne, liebe Pia! Ich wünsche dir ein wunderbares Jahr 2018! Liebe Grüße, Monika

      Antworten

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

de_DEDeutsch