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Wer stärker fühlt, hat mehr vom Leben

Wer stärker fühlt, hat mehr vom Leben

Ich freue mich sehr, dass ich mich heute mit Kathrin Sohst unterhalten kann, die in ihrem Interview beim Kongress von Lisa Laufer sehr wertvolle wissenschaftliche Informationen zum Thema Hochsensibilität weitergegeben hat. Heute möchten wir über ihr neues Buch “Wer stärker fühlt, hat mehr vom Leben” sprechen.

Worum geht es in dem Buch Kathrin?

Mein Buch „Wer stärker fühlt, hat mehr vom Leben“ ist ein Plädoyer für die Kraft, die in der menschlichen Sensibilität steckt, für Vielfalt und für die bewusste Beschäftigung mit Emotionen und Gefühlen. Es geht also um unsere Fähigkeit, zu verarbeiten, was wir wahrnehmen. Es geht um wissenschaftliche Fakten zum Thema Sensibilität, genauso wie um Gefühle, Selbstfürsorge und natürliche Diversität. Es ist kein klassisches Buch über Hochsensibilität, sondern spricht eine breitere Gruppe von Lesern an.

Das klingt unglaublich spannend. 

Was spricht Dich denn am meisten an?

Vor allen Dingen die wissenschaftlichen Fakten. Ich weiß ja von deinem Interview von dem Kongress von Lisa Laufer ein wenig, was dies beinhaltet. Und ich denke, mehr Fakten (wissenschaftliche Fakten) könnten – ich weiß nicht, genau, wie ich diese Gruppe nun nennen soll, können wir von einer hochsensiblen Szene sprechen?. Mir haben diese Fakten jedenfalls sehr weitergeholfen. Auch im Sinne einer Entmystifizierung von Hochsensibilität …

Da sprichst Du ein wichtiges Thema an: Lass mich kurz vorher noch ergänzen, dass es im Buch neben den wissenschaftlichen Fakten auch viele Tipps und Impulse gibt genauso wie persönliche Anekdoten von mir (es ist wohl das bisher persönlichste Buch) und meine Erfahrungen mit dem Thema Hochsensibilität aus den letzten Jahren, die ich in dem Buch quasi zu einer Essenz zum Thema verarbeitet habe. Es steckt also auch viel Reflektion drin. Und das hat auch mit Entmystifizierung zu tun. Nun schlage ich den Bogen zu Deiner Frage:

Die Wissenschaft ist lange davon ausgegangen, dass ca. 15–20 Prozent der Menschen hochsensibel sind und die anderen eben nicht. Inzwischen gibt es von den Arons, Pluess und Co. – das sind führende Wissenschaftler zum Thema – Metastudien, die mehrere Ansätze zusammenführen. Es gab nämlich verschiedene Forschungsstränge und Forscher, die zum Thema geforscht haben. Nur die Arons haben sehr früh ein populärwissenschaftliches Buch geschrieben. Und aus diesem Buch heraus hat sich in rasender Geschwindigkeit – eigentlich schneller als die Wissenschaft hinterherkommen konnte – eine Szene entwickelt. Georg Parlow und Susann Marletta-Hart haben mit ihren Büchern den Anfang gemacht und dann folgten viele, viele mehr. Auch mein erstes Buch “Zart im Nehmen”, dass es inzwischen auch als Taschenbuch bei Goldmann gibt.

Warum so viele Bücher? Warum so ein Lauffeuer? Ich erkläre mir das so: Inzwischen geht die Wissenschaft eher von einer Normalverteilung aus – d. h., dass ca. 30 Prozent weniger sensibel sind, 40 Prozent durchschnittlich sensibel und ungefähr 30 Prozent höher sensibel. Dabei sind die Grenzen fließend und auch innerhalb dieser Gruppen gibt es eine Varianz. Sensibilität ist also divers. Es geht bei hoher Sensibilität keinesfalls um eine esoterische Nische, sondern um ein handfestes Thema, dass jeden Menschen triggert.

Hohe Sensibilität bringt auch mit sich, dass ungünstige Lebensumstände schneller dafür sorgen, dass Ereignisse sich intensiver einprägen oder sogar Traumata entstehen. Ein zweiter Aspekt ist, dass wir in einer Gesellschaftsform leben, in der Leistung und eine Art “maschinisierte” Betrachtung der menschlichen Leistungsfähigkeit eine große Rolle spielen. Das ist für Menschen, die mehr wahrnehmen und einen anderen Arbeits- und Lebensrhythmus brauchen, als durchzurocken (was eigentlich für niemanden gut ist), natürlich eine dauerhaft schwierige Erfahrung. Deswegen ist das Thema aus meiner Sicht so schnell so groß geworden. Und auch deshalb, weil höher sensible Menschen von positiven Impulsen im Besonderen profitieren und sich erfahrungsgemäß auch auf den Weg machen, sich zu stärken und nach Antworten suchen. Achtsamkeitstraining zum Beispiel wirkt sich sehr positiv auf Menschen mit hoher Sensibilität aus und stärkt sie in hohem Maße.

Das ist nun eine lange Antwort, die aber ganz gut beschreibt, warum sich so viele Menschen darin erkennen und sich in einer so intensiven Art (endlich und viele gefühlt zum ersten Mal richtig) gesehen fühlen, dass sie das Thema für sich sehr hoch einstufen. Es gibt ihnen Antworten auf Fragen, die bisher offen geblieben waren. Und öffnet eine Tür, die vorher verschlossen schien. Und dennoch ist die hohe Sensibilität nur ein Teil unserer Persönlichkeit. Eine Überidentifikation mit dem Thema führt auf Dauer nicht in die richtige Richtung. Aber der AHA-Effekt ist und bleibt groß. Die Erkenntnis bringt sehr viel in Bewegung. Und das ist auch gut so – denn es geht ja darum diesen Teil unserer Persönlichkeit positiv zu integrieren, mit alten Verletzungen aufzuräumen und unser Potenzial zu entfalten – für uns selbst und für die Gemeinschaft, in der wir leben.

Mir haben diese Erkenntnisse wirklich richtig geholfen, meine Arbeit noch mal ganz neu zu betrachten und mich zu positionieren, wenn du so willst, denn meine Klienten sind all jene, die mit belastenden Lebensumständen groß geworden sind und davon gibt es so viele Menschen und so viel Leidensdruck …

Aber ich finde es sehr gut, dass jetzt auch durch diese Erkenntnisse etwas Emotionalität rausgenommen werden kann … Es gibt offenbar eine ganze Reihe hochsensibler Menschen, die sich für etwas Besseres halten – den Eindruck kann man jedenfalls in den sozialen Netzwerken bekommen …

Ja, das ging mir auch so. Und das sehe ich kritisch. Ich verstehe, wie diese Sichtweise entstehen kann und in meiner “Missionsphase” hatte ich zeitweise auch den Gedanken “irgendwie ein besserer Mensch zu sein”. Heute sehe ich das anders. Wichtig ist, dass wir Brücken bauen, das Wissen verbreiten, wie divers Menschen wirklich sein können und es positiv für uns nutzen. 

Ja genau. Und zu dem Wissen gehört ja auch, dass “die Norm” irgendwie verändert werden muss in unseren Köpfen. Weißst du, was ich meine?

Ich glaube, dass wir genau über den gleichen Aspekt sprechen. Es geht darum, dass das Wissen über die Sensibilitätsdiversität überall ankommen muss, damit das Bewusstsein dafür sich gesamtgesellschaftlich verändern kann. Deswegen braucht es neben den emotionalen Erkenntnisprozessen und Bekundungen im Netz auch eine sachliche Debatte darüber.

Für mich würde auch noch dazugehören, dass die höhersensitiven Menschen auch offensiver mit ihren Bedürfnissen umgehen und nicht einfach nur darüber jammern, dass sie nicht gesehen werden. 

Genau, hier greift der Gedanke, mit “Altlasten” aufzuräumen (was über die Erkenntnis “Hochsensibilität oft erst möglich wird) und der positiven Integration. Wir “höher Sensiblen” brauchen ein entspanntes Selbstverständnis von uns, unseren Fähigkeiten und unseren Bedürfnissen. Ich werde z. B. oft gefragt, wie man denn für sich einstehen soll. Ob man sagen soll, dass man hochsensibel ist. Davon rate ich oft ab. Für mich ist es einfach, weil ich auch beruflich für das Thema stehe. Aber in anderen Bezügen ist es oft schwierig, wenn noch gar kein Wissen und auch kein Verständnis für das Thema vorhanden ist. Da ist es besser z. B. positiv zu formulieren, welche Voraussetzungen man braucht, um sich gut konzentrieren und gute Arbeit liefern zu können, statt dem Chef zu “beichten”, dass man hochsensibel ist. Glücklicherweise findet das Thema aber immer mehr den Weg in die unterschiedlichsten Bereiche des Lebens. Das Bewusstsein für die Thematik steigt.

Und du möchtest mit deinem Buch noch mehr Bewusstsein schaffen …?

(Lachen…) Ja, da bin ich wohl eine “Getriebene” 😉 Das Wissen über Sensibilität ist für viele so ein großer Schlüssel, dass ich es einfach wichtig finde, die Fakten gut einzuordnen. Dazu gehört auch, das Thema in einen ganzheitlicheren Zusammenhang zu stellen. Wir bestehen als Menschen ja nicht nur aus unserer Fähigkeit zur Sensibilität. Aber sie bringt uns über unsere Verarbeitungsfähigkeit mit uns selbst, mit anderen und mit unserem Umfeld in Kontakt. Um diesen Dreiklang geht es ganz oft im Buch. Ich, die anderen und mein Lebensraum. Es geht um unsere Natur als Mensch. Und um die Natur um uns herum. Sensibilität ist natürlich. Wir sind so gemacht. Also sind wir auch so gewollt von der Natur.

Gibt es etwas, was du noch gerne sagen möchtest?

Ja, es gibt im Buch zwei wissenschaftliche basierte Tests (wie auch auf meiner Website als Online-Version [zumindest schon den für Erwachsene]) und viele Möglichkeiten zur Selbstreflektion. Die Feedbacks, die ich bekomme zum Buch sind sehr tiefgründig. Es ist ein Begleiter, der über das Wissen zum Thema Sensibilität noch viele weitere Informationen und Anregungen für ein bewusstes Leben enthält.

https://kathrinsohst.de/test-sensibilitaet/

Aus aktuellem Anlass möchte ich den Leser*innen noch einen Impuls für die Adventszeit mitgeben und von der Nachbarschaftsaktion „LightYourHope“ erzählen, die kurz vor dem 1. Advent im Hamburger Südosten in Wentorf ins Leben gerufen wurde. Die Vision: Am 21. Dezember um 18 Uhr zünden weltweit Menschen eine Kerze an, gehen zu ihren Nachbarn und fragen diese nach ihren Wünschen. Ein Projekt, dass Vertrauen schafft, Hoffnung schenkt und uns ermutigt, einander zuzuhören. Die Kerzen sind ein Symbol dafür, mit dem Licht der Hoffnung Angst und Sorgen in Wünsche für die Zukunft zu verwandeln. Gerade jetzt können wir gemeinsam mit vielen andere Menschen in der längsten Nacht auf der Nordhalbkugel und der kürzesten Nacht auf der Südhalbkugel ein Zeichen setzen.


Aktionsdatum: 21.12.2020 – 18 Uhr Ortszeit


Wenn auch Du willst, dass aus Angst Hoffnung, aus Einsamkeit Gemeinschaft und aus Ohnmacht Kreativität wird, sprich ab jetzt mit allen darüber, wie das möglich ist und zünde am 21. Dezember um 18:00 Uhr eine Kerze an – für Dich, für Deine Nachbarn und für die ganze Welt.
Unten findest du einenTrailer, der in gut drei Minuten zeigt, wie es geht.
Auf Facebook findest Du uns hier: https://www.facebook.com/groups/lightyourhope/
Telegramm-Gruppe: https://t.me/lightyourhopePublic
Hashtag: #lightyourhope

Vielen Dank, Kathrin.

Ich danke Dir für das außergewöhnliche Interview 🙂

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Sensibilitätstest für Erwachsene: https://kathrinsohst.de/test-sensibilitaet/

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Kathrin Sohst
Wer stärker fühlt, hat mehr vom Leben
dtv
ISBN 978-3-423-26261-3
16,90 EUR

Grenz-Erfahrungen: Boarderlines

Grenz-Erfahrungen: Boarderlines

 

Eher zufällig bin ich im Netz auf den Kölner Autor Andreas Brendt  gestoßen. Sein Buch Boarderlines für Junge Wilde, Sinnsucher und andere hat sofort mein Interesse geweckt. Sinn scheint für die meisten hochsensiblen Menschen etwas sehr Essentielles zu sein. Daher habe ich mit dem Autor ein (wie ich finde) spannendes Email-Interview geführt. Aber lesen Sie selbst:

 

Andi, worum geht es in Boarderlines?

Boarderlines ist ein autobiografischer Reise-Abenteuer Roman und viele Leser sprechen von einem besonderen Buch, von einer eigenen Gattung, weil man so hautnah dabei sein kann.
Die Geschichte baut sich über verrückte Erlebnisse aus allen Ecken und Enden der Welt auf. Es wird urkomisch, fies gefährlich, skurril und liebenswert, weil jede Reise ihren eigenen Charme mitbringt – besonders, wenn der Reisende genug Naivität im Gepäck hat 🙂
Darüber hinaus findet eine Entwicklung statt. In der 10 Jahre dauernden Rahmenhandlung geht es darum, wie das Reisen oder das Leben einen Menschen verändern kann. Es tauchen die typischen Sehnsüchte und Dilemmas auf, die uns alle verbinden. Was soll ich mit meinem Leben anfangen? Tue ich das, was die gesellschaftlichen Konventionen von mir verlangen oder gehe ich andere Wege. Was muss ich aufgeben, wenn ich meinen Träumen folge und wird mich das zum Glück führen?
Die Antwort ist klar: Nein 🙂
Bzw. über Umwege, denn die schwierigen Momente können die lehrreichsten sein. Das Buch bekommt eine gefühlvolle Seite und zeigt die Höhen und Tiefen, mit denen wir alle zu kämpfen haben. Hier wird es dann auch philosophischer, denn der Protagonist ist schon längst und ohne das zu ahnen auf einem suchenden, fast spirituellen Weg. Dabei habe ich versucht die Bedeutung der fernöstlichen Weisheiten auf eine neue, mehr erlebbare Weise näher zu bringen.

Was meinst Du mit nein: Du möchtest nicht tun, was die gesellschaftlichen Konventionen verlangen oder nein: Das wird mich nicht zum Glück führen?

Also das Nein bezog sich nicht auf die gesellschaftlichen Konventionen sondern, ob bzw. wann ein Weg zum Glück führt.

Man kann verschiedene Lebenswege einschlagen und ein gesellschaftliches Umfeld erwartet meist einen mehr oder weniger vorgezeichneten Werdegang. Zum Beispiel Schule, Studieren und Karriere machen. Oder Gesellenprüfung und früher arbeiten. Aber natürlich gibt es auch Möglichkeiten, etwas ganz anderes zu machen. Zum Beispiel ganz viel Reisen und einer Leidenschaft folgen (egal ob Surfen, Klettern, Fahrradfahren). Für manche Menschen ist das ein Weg voller Unsicherheit und ohne Weitsicht, nach dem Motto: Was soll denn in der Zukunft aus Dir werden? Für andere scheint der Weg, einfach seinem Freiheitsdrang zu folgen, als Selbstverwirklichung und Weg zum Glück.
Meiner Meinung nach macht aber keiner dieser Wege von alleine glücklich. Ich glaube momentan, dass es ganz egal ist, was man tut. Ob man als Supermarktkassierer 9–5 arbeitet oder Extrembergsteiger durch den Himalaya tourt. Es geht nicht darum, was man tut, sondern wie man es tut. Ist man seinen Gefühlen gegenüber aufmerksam, ist man offen für das Wunder des Lebens, was einem überall begegnen kann. Lässt man sich von einer subtilen Intuition lenken und kann man Freude in alles fließen lassen, was ist.

Das klingt sehr gut. Ich fand die Momente von Einssein mit der Natur sehr schön beschrieben. War das etwas, was Du erst beim Surfen entdeckt hast, oder war das auch vorher schon ein Teil Deines Lebens?

IMGP1752Ich war immer gerne draußen, aber die Intensität des Naturerlebnis hat stark mit dem Wellenreiten zugenommen. Und wenn man bewusster erlebt, erlebt man auf einmal immer mehr. Gezeiten, Wind, Sonne, Mond und Sterne und mittlerweile bemerke ich selbst in der Großstadt Wolkenformationen und höre die Vögel – auch das habe ich ja quasi in Sri Lanka gelernt 🙂

Mich interessiert auch, welche Bedeutung der Titel „Boarderlines“ für Dich hat?

Boarderlines ist ein vielschichtiges Wortspiel. Eine Freundin hatte die Idee bei einer Menge Rotwein und einem Haufen Leute in meiner Küche. Sie meinte das muss irgendwie mehr knallen, erschrecken 🙂 wie Borderline. Dann war es eine kurze Weile sehr still. Und jeder hatte andere Assoziationen. Manche dachten an das hin- und hergerissen sein. Der Konflikt zwischen Heim- und Fernweh. Andere sahen die Linien, die ein Surfer oder Boarder in der Welle (oder dem Schnee) zurücklässt. Natürlich war für die meisten Grenzen sowohl in geographischer wie auch in mentaler Art und Weise sehr naheliegend oder eben die Krankheit. Mir kam allerdings eine andere Verknüpfung: Ich dachte an Zeilen (lines), die ein Brettsportler (Boarder) schreibt und fand das super passend. Vor allem in der Verbindung mit Grenze oder Grenzbereich.
Dann habe ich eine Weile mit mir gerungen, ob ich einen so heftigen Titel nehmen kann oder lieber einen braven nehmen soll. Aber irgendwie hatte ich schon längst, in diesem Moment der Stille, eine Entscheidung getroffen.

In Grenzbereiche und -erfahrungen bist Du während Deiner Reisen ja öfter gestoßen. Ich denke dabei nicht nur an Grenzerfahrungen mit der Natur, bzw. den Naturgewalten, sondern ich fand Deine Erfahrungen in den Begegnungen mit anderen Menschen oft auch sehr krass, z. B., dass die freundlichen Menschen am Strand sich plötzlich als befremdende Rassisten entpuppen … Ich habe eine Passage im Buch, die mir ganz besonders gefällt – welche, verrate ich Dir später. Welche Erfahrung, die Du in den zehn Jahren gemacht hast, hat Dein Leben rückblickend am meisten verändert?

Ach das sind so viele. Jede Reise hat einen anderen Charakter, jede Begegnung ihren Charme. Manchmal sind es kurze Begegnungen, von denen ich ewig zehre und die mir Jahre später wieder in den Sinn kommen. Ich glaube, was mich geprägt hat, ist zu erkennen, wie unterschiedlich das Leben in der Welt ist und damit, wie unterschiedlich das Leben sein darf. Und das absolut wertfrei. Ich bewundere einen Busfahrer genauso wie einen Karrieremenschen, einen Genügsamen genauso wie jemanden, der hinter einer Leidenschaft herjagt und einen einsamen Typ ebenso wie den Geselligen. Das kann dann auch die eigenen Situation etwas entspannen. Wir haben ja alle Vorstellungen, wie wir sein sollten, wie unser Leben aussehen könnte. Der Blick zurück zu all den Begegnungen nimmt mir dann den Druck, irgendetwas sein zu müssen (ein Surfer, ein Reisender, ein erfolgreicher Schriftsteller oder was auch immer ich mir gerade so ausmale).

Wann hattest Du die Idee, deine Erfahrungen in einem Buch zu verarbeiten? Kannst Du Dich noch an diesen Moment erinnern?

Das war kein Moment, sondern eine Entwicklung.
Ich habe früher häufig Reise-Emails nach Hause geschrieben, um den Kontakt zur Heimat nicht ganz zu verlieren. Und dann meinten alle immer: Das ist so witzig, so abgefahren, da musst du unbedingt mal ein Buch draus machen. Und in den Surfcamps wollten die Leute auch immer Geschichten aus der weiten Welt hören und 🙂 ich erzähle halt auch gerne. Andi_Lama_swSo wuchs die Idee in meinem Kopf ein paar Jahre heran. Irgendwann wusste ich, dass ich das mal machen werde. Es fehlte nur noch der Anlass. Und dann kam eine sehr schmerzhafte Trennung, die viel Energie freigesetzt hat und den Startschuss markiert hat.

Apropos Entwicklung: Das Buch endet 2005 mit Deiner Vereidigung als Lehrer. Im Vergleich zu den vergangenen zehn Jahren davor ist das eine völlig konträre Lebensform. Wie ist es Dir in diesem Gegensatz ergangen – konntest Du Dich darin einrichten oder machst Du heute etwas Anderes?

Zunächst mal wurde mein Leben spannender als je zuvor. Aber das steht im zweiten Buch, mit dem ich aller Voraussicht nach im Sommer beginnen werde, weil ich dann wieder 13 Monate frei habe. Das Zurechtfinden war natürlich ein interessanter und zuweilen lustiger Prozess. Ganz einfach, weil mir einige „Grundkenntnisse“ für das Leben in Deutschland fehlten 🙂 Dies galt insbesondere für den Umgang mit einem Beamtenapparat, der ab und an deutlich weniger Spaß versteht als ich, und auch für meine erste richtige Beziehung. Woher sollte ich denn wissen, dass man sich meldet, wenn man ein paar Wochen auf einen Surftrip fährt 🙂
Grundsätzlich habe ich versucht, mir weiter Auszeiten zu schaffen. So habe ich nach dem Referendariat nochmal 1,5 Jahre in die Reiserei investiert und dann sofort (auch hier gab es interessante Blicke) ein Sabbatjahr angemeldet. Der Wechsel zwischen etwas mehr Heimat und wieder einem (wunderbaren) sozialen Umfeld und der weiten Welt hat mir in den vergangenen Jahren super gut gefallen. Mittlerweile liebe ich Beides: ein Zuhause und die Möglichkeit den Planeten zu erkunden. Müsste nur noch dieses „Arbeiten-und Geld-Verdienen-müssen“ aufhören, weil das stört einfach beim Leben.

Dann bin ich mal sehr gespannt auf das neue Buch. Hast Du Dich eigentlich schon einmal mit dem Thema „Hochsensibilität“ beschäftigt?

Mmh, ich bin hochsensibel, aber in einem wissenschaftlichen Kontext noch nicht. Der Begriff als solches ist mir auch nicht geläufig. Ich vermute aber, dass jedes Wesen, dass in der westlichen Welt aufwächst, hochsensibel ist, aber alle Gefühle unterdrücken muss. Wir müssen funktionieren und da soll man nicht zwischendurch vor Wut schreien oder Tränen kommen lassen, wenn man traurig ist. Mir gefällt die Arbeit im Osho Zentrum in Köln sehr gut, weil es genau darum geht. Gefühle sein lassen zu dürfen in einem sicheren Raum. Das ist sehr intensiv und fühlt sich irgendwie richtig und vor allem menschlich an.

Ich meine hochsensibel als „besonders empfindsam“, mit einer besonderen Empfänglichkeit für innere und äußere Reize. Wissenschaftlich belegt ist diese besondere nervliche Disposition tatsächlich nicht, empirisch aber schon. Ja, ganz bestimmt sind die meisten Menschen viel empfindsamer, als sie es zeigen, ich meine hier aber eher die ganz besonders Empfindlichen. Hast Du dafür eine andere Bezeichnung?

Nein, ich verwende auch das Wort sensibel. Ich weiß nicht, ob es Menschen gibt, die mehr und andere, die weniger sensibel sind. Vielmehr scheint der Umgang mit unseren Gefühlen sehr unterschiedlich zu sein. Manche verdrängen, manche suchen danach. Und die Reaktion auf das Fühlen ist ebenfalls sehr verschieden. Manche nennen es Einbildung, andere Hokuspokus, der in unserer rationalen Welt nichts zu suchen hat. Wieder andere „sind nah am Wasser gebaut“ und andere flippen einfach aus.

Ich habe in den letzten Wochen zweimal die AUM besucht.
Das ist eine dynamische und soziale Meditation, die uns durch 13 Phasen führt. Dabei werden alle Möglichen Gefühle ausgelebt. Wut, Trauer, Lachen, Euphorie, Sinnlichkeit usw. Das Wichtige scheint zu sein, dass alle Gefühle da sein dürfen und, dass wir nicht diese Gefühle sind (was wir erkennen, wenn wir Gefühle beobachten und besonders, wenn wir gegensätzliche Gefühle direkt nacheinander erleben und beobachten). Diese knapp 3 Stunden haben eine enorme Kraft und verbinden die Teilnehmer sehr. Es zeigt auch, dass in jedem Menschen alle Gefühle schlummern. Wer behauptet, er hätte einfach keine Wut in sich, hat Wut mehr verlernt und unterdrückt. Wut ist ein wunderbares und kraftvolles Gefühl, was bei uns nur deshalb eine negative Assoziation bewirkt, weil viele nicht mit Wut umgehen können und dann beginnen zu zerstören. Dabei kann Wut auch einen enormen Schaffensprozess einleiten. Ähnliches gilt für die anderen Gefühle. Ich fühle mich mittlerweile richtig geehrt, wenn ich Gefühle miterleben darf. Diese Öffnung ist ein Zeichen von Vertrauen und das ist wunderbar. Verrückt, dass dem Fühlenden das dann peinlich ist.

Ja, ich bin ganz und gar mit Dir einverstanden, dass das Wahrnehmen der Gefühle super wichtig ist, weil die meisten Menschen ihre Gefühle einfach immer nur verdrängen und dadurch krank werden. Mein Tool der Wahl ist ja die Meridian-Klopftechnik EFT. Letzten Endes geht es dabei aber (wie bei der AUM) darum, Gefühlen Raum zu geben. Mir geht es heute (auch obwohl ich schon ganz viel „losgelassen“ habe) manchmal so, dass ich ein Gefühl habe und nicht weiß, was es bedeutet – nur das es sich nicht gut anfühlt.

Aber jetzt nochmal zurück zu Deinem Buch: ich habe ja schon erwähnt, dass ich eine Lieblingspassage habe. Als ich „Freak Set“ gelesen habe, hatte ich richtig Herzklopfen. Zum einen, weil ich selbst schon einmal in der Bretagne in einer Welle untergegegangen bin und dachte, ich komme NIE mehr hoch. Zum anderen fand ich es ein unglaublich starkes Bild für Situationen, in die man im Laufe des Lebens immer wieder gerät: Man sieht etwas auf sich zurollen, was sehr riesig ist und glaubt, jetzt geht man unter, das kann man unmöglich überleben, aber man kommt doch immer wieder hoch und überlebt und dann geht das Leben weiter …
Du hast Dein Buch, glaube ich, selbst verlegt? Wo und wie kann man es denn kaufen? Und was kostet es?

In erster Linie kann man das Buch im Internet kaufen. buch_andibrendt
Es gibt drei Möglichkeiten:
1. Über meine Verlagsauslieferung die Dhlog (einen Link gibt es auf meiner Seite: http://www.boarderlines-buch.de/bestellung.php)
man zahlt 15,95 Euro versandkostenfrei, das möchte ich jedem empfehlen
2. Bei Amazon, aber da kostet das Buch 18,95 Euro und die Bestellung dauert auch ein paar Tage länger
3. Als Ebook bei Amzon oder Kobo für 8,77 Euro

Vielen Dank, Andi und viel Erfolg!

Das Recht auf negative Gefühle

Das Recht auf negative Gefühle

 

Immer wieder höre ich von den TeilnehmerInnen meiner Seminare und Workshops, dass es ihnen unglaublich schwer fällt, sich mit negativen Dingen zu beschäftigen und dass die Klopfakupressur allem zuwider läuft, was sie bis jetzt im Rahmen ihrer (häufig auch spirituellen) Weiterbildung gelernt haben. Dazu gehört vor allem, sich nicht mit negativen Dingen zu beschäftigen. Dazu gehört aber auch, dass mittlerweile bekannt ist, dass das Gehirn das Wörtchen „Nein“ nicht kennt. Das führt zu einiger Verunsicherung. Ich werde oft gefragt, ob durch das Klopfen und explizite Benennen von Problemen diese nicht erst recht im Körper verankert werden?

 

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de_DEDeutsch