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Ich bin vollkommen fremd hier

Ich bin vollkommen fremd hier

Das Gefühl „fremd zu sein“ kennen die meisten hochsensiblen Menschen nur zu gut, bzw. begleitet viele HSP eine mehr oder weniger lange Zeit in ihrem Leben.

Das „sich fremd fühlen“ hat sehr viele unterschiedliche Aspekte, die mal mehr, mal weniger wichtig sein können.

 

Mein Gefühl nicht zur Gesellschaft zu gehören, ja irgendwie ein Alien zu sein, hat mich sogar den Großteil meines Lebens begleitet, aber ich habe es erfolgreich mit dem Satz „Ich bin anders“ mit der Klopfakupressur bearbeitet und hinter mir gelassen. In letzter Zeit gewinnt das Thema jedoch wieder zunehmend an Aktualität für mich. Im Zuge der

großen Transformation

wird nach und nach jeder Bereich meines Lebens von Veränderungen erfasst. In meinen jüngeren Jahren war ich Mitglied eines lesbischen Zeitungskollektivs. Manchmal haben wir höchst interessante intellektuelle Überlegungen angestellt. Eines Tages ging es darum, wer kann wohin gehen und wer fällt dann wie auf? Das war sehr spannend. Über mich wurde damals gesagt:

ich könne überall hingehen, aber ich fiele überall auf.

Ersteres hat mich sehr gefreut, weil es einfach auch stimmt. Ich bin eine Grenzgängerin, ich finde auch Themen und Dinge interessant, die für andere Menschen vollkommen abwegig sind. Aber dass ich überall auffallen werde, war weniger schön. Nicht nur, weil ich die Erfahrung selbst schon häufig gemacht hatte.

Es bedeutet ja im Grunde genommen, dass ich nirgendwo hin passe. (Das war ja alles noch vor dem Bekanntwerden von Hochsensibilität, aber mein hochsensibler Bewusstseinsprozess ist ganz eng damit verknüpft, denn einer der Schritte in diesem Prozess war, dass ich herausgefunden habe, dass ich als idealistische Heilerin zu einer Bevölkerungsgruppe gehöre, die die kleinste überhaupt ist: nur 2 % sollen zu diesem Menschentyp gehören. Was letztendlich bedeutet, dass mein Gefühl, dass ich ganz anders bin als die anderen eine wahre Ursache hat: ich bin tatsächlich anders!)

Es gab übrigens auch ein Kollektivmitglied, das ebenfalls überall hin gehen konnte, aber nicht auffiel. Dies ist umso erstaunlicher, weil sie mit ihren kurzen roten Haaren eine sehr auffällige Erscheinung war. Aber sie besaß die magische Fähigkeit, sich sofort in jede Gruppe zu integrieren. Mir war diese magische Fähigkeit nicht gegeben, damals, als ich 25 war, nicht und heute, mehr als 30 Jahre später, immer noch nicht. (Wobei sich hier natürlich sehr viel getan hat, es kommt sehr viel darauf an, mit wem ich zusammen bin usw. In meinen Seminaren stelle ich mir diese Frage natürlich auch nicht.)

In letzter Zeit habe ich oft an unsere Überlegungen gedacht. Weil

die Frage, ob ich hier eigentlich richtig bin,

immer drängender und auch immer wichtiger wird.

Es begann damit,

dass ich mir vorgenommen habe, mehr zu tanzen und mich auf die Suche nach Tanzmöglichkeiten abseits von Clubs zu begeben. Diese habe ich sehr schnell gefunden, z. B. als Barfußtanzdisco oder Tanzmeditation in meiner Stadt.

Anfangs war ich total begeistert, aber nur solange, bis ich tatsächlich dort hinging. Lauter schlanke junge Frauen im Hippielook mit Haaren bis zum Hintern. Schneller, als ich denken konnte, stülpte sich dieses Gefühl von Fremdsein über mich. Keineswegs war jemand direkt zu mir unfreundlich oder etwas Ähnliches.

Natürlich ist es blöde, Menschen nur nach ihrem Äußeren zu beurteilen, das weiß ich selbst. Vielleicht trifft es den Kern der Sache eher, wenn ich sage, da ist eine relativ homogen aussehende Gruppe und ich komme dazu und passe schon rein äußerlich nicht.

Dieses Gefühl verstärkt sich sofort um ein Vielfaches, wenn ich merke, dass die Gruppenmitglieder sich untereinander schon kennen und einiges miteinander teilen. Es ist schon klar, dass ich selbst der treibende Motor bin,

ich grenze mich selbst aus,

weil es dieses fremde Gefühl gibt und weil ich es nicht aushalten kann, dass sich niemand für mich interessiert. Dass es egal ist, ob ich da bin oder nicht.

Das triggert mich auf einer sehr existentiellen Ebene.

Das ist Stress pur. Sehr, sehr lange, habe ich mich in solchen Situationen in mich selbst zurückgezogen (ich bin sicher, die meisten von ihnen werden wissen, was ich damit meine). Dieses Verhalten habe ich zwar schon längst abgelegt, aber die auslösenden Situationen geschehen natürlich trotzdem.

Heute flüchte ich mich nicht mehr in mich selbst, ich bin auch nicht mehr ganz so gestresst (jedenfalls nicht wissentlich), ich stürze auch nicht sofort davon, ich habe dann aber keine Lust, wiederzukommen. Das war aber erst der Anfang.

In der letzten Zeit ist Spiritualität für mich immer wichtiger geworden. Nicht nur, weil ich Andreas Goldemann entdeckt habe. (Dem Himmel sei dank!) Ich habe mich auch schon vorher intensiv mit spirituellen Themen beschäftigt (das kann man auch sehr gut auf bodenständige Art und Weise tun!), mein Bedürfnis mich darüber auszutauschen, wächst aber beständig. Genauso wie das Bedürfnis,

verschiedene Teile meines Lebens mehr zusammenzubringen,

statt sie irgendwie getrennt zu halten (wobei ich das nicht absichtlich tue, das ergibt sich einfach so). Ich empfinde es z. B. eher als schwierig, mit anderen lesbischen Frauen über Spiritualität zu reden, da geht es eher um Politik, Gesellschaft, Fußball oder Musik.

Kürzlich hatte ich ganz enthusiastisch und ein bisschen provokativ verkündet, dass ich einen „ganz tollen Mann“ kennengelernt habe (wovon natürlich nicht wirklich die Rede sein kann, da ich mir ja nur Videos angucke und das Vergnügen also sehr einseitig ist). Aber ich hatte das Gefühl, das kommt so was von nicht gut an, dass ich den Mund wieder zugemacht habe.

Umgekehrt scheue ich mich, mit spirituellen Bekannten über das zu reden, was ich mit anderen lesbischen Frauen erlebe. Ich bin natürlich geoutet, das ist gar nicht das Ding. Und ich weiß natürlich auch, dass es vollkommen egal ist, ob man eine Erfahrung mit einem Mann oder einer Frau macht, weil es die Erfahrung ist, die letzten Endes zählt. Trotzdem fühlt sich das nicht richtig an.

Und ich wünsche mir Austausch mit anderen lesbischen Coaches und das ist schwierig, weil es fast unmöglich ist, es herauszufinden, ob jemand lesbisch ist oder anderweitig sexuell orientiert, heute ist das scheinbar nicht mehr so wichtig und das ist eigentlich ja auch sehr gut – grundsätzlich. Ich habe sogar schon überlegt, eine entsprechende Gruppe bei fb aufzumachen, aber das fühlt sich auch nicht richtig an, denn ich möchte ja keine beruflichen Themen besprechen.

Letzten Endes möchte ich einfach mehr mit Menschen zusammen sein,

deren Lebens- und Erfahrungshintergrund meinem ähnlich ist.

Es gibt nur eine verschwindend kleine Anzahl von Menschen, mit denen ich wirklich über ALLES sprechen kann. Das finde ich so schön und kostbar.

So kommt es, dass ich mich, wenn ich mit Menschen zusammen bin (auch solchen, die ich schon zum Teil ganz lange kenne), immer öfter frage:

Bin ich hier eigentlich richtig?

Was verbindet mich mit diesen Menschen? Fühle ich mich hier eigentlich zu Hause? Fühl ich mich wohl, wenn ich mit diesen Menschen zusammen bin?

Und ist es nicht ziemlich schräg, dass wildfremde Menschen sich mehr für das interessieren, was ich mache, als die Menschen, die ich zum Teil schon sehr lange kenne? Und so hat, sehr langsam und schleichend

eine Erschütterung meines sozialen Umfelds stattgefunden.

Meine Erde bebt immer noch. Und wie es scheint, wird sie so schnell auch nicht aufhören zu beben. Manche Menschen werden von den Spalten, die sich auftun, verschluckt, andere werden ausgespuckt und fallen mir vor die Füße …

Puh, dieser Beitrag war ein sehr, sehr schwerer Brocken Erkenntnisarbeit für mich. Zum einen ist es ein bisschen wie eine Art Coming-Out. Zum anderen sind dabei durchaus teilweise auch Ängste und ein schlechtes Gewissen erschienen, weil ich einige meiner Gedanken selbst abgelehnt habe, bzw. sie gar nicht in mein Wertesystem passen (wie zum Beispiel Menschen aufgrund ihres Äußeren abzulehnen, das finde ich grauenvoll und eigentlich unverzeihlich). Aber ich bin froh, dass ich meine ziemlich wirren Gedanken und Empfindungen in eine Ordnung gebracht und herausgefunden habe, was ich eigentlich wirklich möchte.

Nun fühle ich mich wie ein Auto, das durch eine Waschanlage geschickt wurde. Während des Waschvorgangs wurde ich ziemlich durchgerüttelt und kräftig bearbeitet, aber am Ende komme ich (irgendwie gereinigt) mit frischer Energie wieder zum Vorschein.

Wie sind Ihre Erfahrungen zum Thema „sich fremd fühlen“? Wie immer freue ich mich über Ihre Kommentare.

 Von Herzen, Ihre Monika Richrath

Bild von Ronile auf Pixabay

de_DEDeutsch