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Was durch ein Bild deutlich wird

Was durch ein Bild deutlich wird

Mit der  Kunsttherapeutin Elvira Schmitz verbinden mich ganz besondere Umstände: Frau Schmitz war die Kunsttherapeutin meiner Mutter und hat meine Mutter im Sterbeprozess unterstützt. Vor kurzem jährte sich der 2. Todestag meiner Mutter und ich freue mich sehr, dass Frau Schmitz bereit ist, sich mit mir über ihre Arbeit zu unterhalten.

Ich zeige Elvira Schmitz einen von mir gebastelten Baum und bitte sie, etwas dazu zu sagen.

Schmitz: Der Baum ist ein schönes Sinnbild für die kunsttherapeutische Begleitung. Der  Baum als Selbstbild, das die momentane Lebenssituation abbildet. Es ist mir wichtig, der begleiteten Person Raum zu lassen für das, was in ihr wachsen  möchte. Dabei gilt es, nicht die Richtung des Wachstums vorzugeben, sondern die Wachstumsbestrebungen zu fördern. Ein Baum ist dafür ein gutes Beispiel.

Warum ist das „Raum lassen“ so wichtig?

Schmitz: Durch das Zulassen eigener Bilder und Symbole kann sich der Mensch ohne Leistungsdruck entfalten. Die nicht wertende und empathische Begegnung mit der Therapeutin kann  befreiend und inspirierend wirken. Die Ganzheit  des Menschen wird angesprochen. Dies ermöglicht ein langsames und vertrauensvolles Hineinwachsen in die therapeutische Beziehung. Eine Beziehung die angst- und wertfrei ist.

Ist das immer so?

Schmitz: Natürlich kommt auch hinzu, dass der Mensch sich zeigen möchte, und das ist auch gut so. Durch das Zeigen wird ja auch viel von der Persönlichkeit des Gegenübers sichtbar. Und das finde ich so spannend am Miteinander. Ist das bei Ihrer Arbeit auch so?

Bei mir ist es auch so, aber anders. Wenn ich einen Vergleich machen müsste, dann geht es bei mir eher in die Entfaltung. Und wenn ich mir angucke, was mit meiner Mutter geschehen ist, dann war der Prozess umgekehrt, der ging von außen nach innen.

Ja ganz definitiv. Vor allem auch, weil meine Mutter so wahnsinnige Angst vor dem Tod hatte und ich finde, es ist immer noch ein Mysterium und Wunder, dass sie es geschafft hat, loszulassen. Und Sie haben ihr dabei wahnsinnig geholfen.

Schmitz:Ihre Mutter habe ich als eine sehr direkte und im positiven Sinne fordernde Frau erlebt. Sie suchte ein klares und aufrichtiges Gegenüber. Dies ist in einer therapeutischen Beziehung meist einfacher als in einer Familiensituation. In dem Buch „Eine Rose hält das Gleichgewicht“, das ich über die Begleitung ihrer Mutter geschrieben habe, wird dies deutlich.

Können Sie das genauer beschreiben?

Schmitz: Ihre Mutter war bereit, mich als kompetente Begleiterin anzunehmen. Jemand, der der zuhört, nicht bewertet und Raum schafft für Gedanken und Gefühle. Das Besondere unserer Beziehung aber war, dass ihre Mutter mir erlaubte, für sie zu malen.

Wegen ihrer Erkrankung konnte sie das selbst nicht mehr. Durch dieses Verfahren, das in der Kunsttherapie als Bilddiktat bekannt ist, konnte ihre Mutter das ausdrücken, was ihr auf der Seele lag, und was nicht in Worte gefasst werden kann: Angst, Hilflosigkeit, Trauer, aber auch Hoffnung und Lebensfreude. Und dies trotz der schweren Erkrankung und dem Wissen um den nahen Tod.

Wie sind Sie dazu kommen, das zu machen, was Sie jetzt tun?

Schmitz: Als Kind hatte ich viele Bilder im Kopf und habe mir meine eigenen Fantasie-Räume geschaffen. Angeregt durch illustrierte Kinderbücher begann ich zu zeichnen und zu malen. Da bin ich ganz in meine Bildwelt eingetaucht und konnte meinen Fantasien Ausdruck verleihen und sie sichtbar machen. Dabei habe ich mich pudelwohl gefühlt. Und genau dieses Wohlfühlen ist das, was ich in der kunsttherapeutischen Begleitung erreichen möchte. Denn dieses wunderbare Gefühl ermöglicht auch hochbelasteten Menschen, sich nicht als krank und hilflos, sondern als stark, aktiv und schaffend zu empfinden. Das sind die Ressourcen, die wir in uns tragen und die uns helfen, zu leben.

So geht es mir ja auch mit dem Zeichnen. Wenn ich jetzt gerade noch einmal einen Schritt zurückgehe, dann haben Sie sich nicht von Anfang an gesagt, ich mache jetzt etwas mit Kunst?

Schmitz: Es hat mich immer dorthin gezogen, aber klar war es nicht. Manchmal trifft man im Leben  Menschen, die einen auch ohne große Worte auf den Weg bringen können. Ich hatte das Glück und habe freie Kunst an der FH in Köln studiert.

Und wie ging es weiter?

Schmitz: Durch den Tod meinen Vaters bin ich in den Hospiz-und Palliativbereich „geführt“ worden.   Dieser Verlust hat in mir eine tiefe Trauerphase ausgelöst. Als ich diese Trauer nicht mehr allein tragen konnte, bin ich zu meiner Zen-Lehrerin gefahren und habe dort ein Seminar zu und über Rainer Maria Rilke belegt. Dort fand meine Trauer ihren Platz in Gedichten und Bildern. Diese Erfahrung hat mich zum nächsten Lebensschritt geführt.

Wie sind Sie zur Hospizarbeit gekommen?

Schmitz: Ich las in der Zeitung einen kurzen Artikel mit dem Titel „Wer gründet mit mir einen ambulanten Hospizdienst?“ Da bin ich hin und habe gemeinsam mit anderen Menschen einen ambulanten Hospizdienst gegründet. Dort war ich im Vorstand tätig und  habe kranke und sterbende Menschen begleitet. Das war genau das, was ich suchte.

Gibt es noch andere Einflüsse?

Schmitz: Meine Malkurse für Erwachsene und Kinder. Neben dem Vermitteln  kreativer Techniken ist es mein Anliegen, die Freude am Malen zu fördern. Weniger Technik, dafür mehr malerische Selbsterfahrung. Zu schauen, was und wie der Mensch malt und nur Hilfestellung anzubieten, wenn es gewünscht wird. Das habe ich bei Arno Stern in Paris gelernt: Wertschätzend wachsen lassen.

Was bedeutet „Wertschätzend wachsen lassen in diesem Zusammenhang?“  

Schmitz: Unbedachte Worte können viel zerstören, besonders im kreativen Bereich. Das bekomme ich immer wieder von Menschen aus deren Schulzeit geschildert. Aussagen wie: „Du kannst nicht malen“, „das ist falsch“ oder „das sieht nicht aus“ führen dazu, dass erwachsene Menschen diese Urteile ein Leben lang mit sich herumtragen.

Wertschätzend wachsen lassen ist meine Antwort auf falsche Glaubenssätze, die verhindern, dass kreatives Tun und die Freude daran zu einer heilsamen Ressource wird.

Und was hat Sie dazu gebracht Kunsttherapie zu studieren?

Schmitz: In meinen Kursen erlebte ich häufig Menschen, die sich in Lebenskrisen befanden. Ich wurde mit Depressionen, schwerwiegenden Erkrankungen und Trauer konfrontiert. Ich fühlte ich mich nicht genügend gerüstet, was mich veranlasste, Kunsttherapie zu studieren.

Das ist also eine richtige Ausbildung?

Schmitz: Ja, ein Vollzeitstudium, das mit dem Master of Arts abschließt. Von morgens bis abends in den Vorlesungen zu sitzen war ungewohnt für mich, weil nicht so selbstbestimmt wie mein Leben vor dem Studium. Aber es war gut. Ich habe viel gelernt und erfahren, dass ich vieles intuitiv richtig gemacht hatte. Seither arbeite ich als Kunsttherapeutin mit dem Schwerpunkt hospiz- und palliative kunsttherapeutische Begleitung. Dazu gehört auch der Bereich der Trauerbegleitung.

Findet man als Kunsttherapeutin eine Anstellung?

Schmitz: Ich wollte von Anfang an freiberuflich arbeiten. Im Palliativbereich bin ich als freie Kunsttherapeutin für das Zentrum für Palliativmedizin am Malteserkrankenhaus in Bonn und die Palliativstation „Saunders“ in der Uniklinik in Bonn tätig. Daneben betreue ich auch Klienten auf Honorarbasis.

Ist es denn immer so, dass es geht wie bei meiner Mutter, dass Sie für die Leute malen?

Schmitz: Nein, nicht immer. Ich male nur dann für Menschen, wenn sie selbst nicht mehr malen können oder wollen. Bei einer älteren Dame habe ich es erlebt, dass sie nach anfänglichen Versuchen das Malen mir überlassen hat. Das gibt es auch.

Und wenn die Leute selber noch malen können, dann sprechen Sie mit Ihnen?

Schmitz: Ja. Es ist wichtig gemeinsam zu erkunden, was die Person interessiert, was und wie sie malen oder modellieren möchte. Um das herauszufiltern zeige ich verschiedene Materialien und motiviere, diese auszuprobieren. Wenn ein Material, z.B. Pastellkreide, ausgewählt wird, kann ein Thema entstehen. Dazu bringe ich unterschiedliche Bildmotive als Vorlage zum Malen mit. Wenn jemand Tiere mag, dann kann ich daran anknüpfen und ein Bildmotiv als Vorlage und Inspiration zum Malen anbieten. Natürlich kann auch ohne Vorlage aus der Fantasie gemalt werden.

Ist das Verfahren immer gleich?

Schmitz: Es gibt viele Herangehensweisen. Es kann auch sein, dass die Person weiß, was sie malen möchte, oder es ergibt sich ein Thema aus dem Gespräch. Es ist immer individuell und von Mensch zu Mensch verschieden. Wichtig ist, dass es eine genaue Auftragsklärung gibt. Was wünscht sich die Person von der Begleitung, welche Vorstellungen und Erfahrungen gibt es?

Was machen Sie, wenn kein Bilddiktat gewünscht ist?

Schmitz: Meistens male ich während der „Malzeit“ auch, damit die begleitete Person sich nicht beobachtet oder im schlimmsten Fall bewertet fühlt. Wenn sich während des Malens ein Gespräch entwickelt, sollte wertschätzend über die Inhalte des Bildes gesprochen werden. Dann wirken Worte klärend. Auf der Bildebene können selbst schwere und belastende Situationen mit wohltuendem Abstand betrachtet werden. Dies ermöglicht ein schrittweises Herangehen und Entdecken der Ressourcen des Malenden. Auf jeden Fall wirken die Bilder über den Malmoment hinaus.

Wie bei meiner Mutter

Schmitz: Ja, ihre Mutter ist ein wunderbares Beispiel, weil sie im Detail über ihr Tun reflektierte. Jede Farbnuance war ihr wichtig. Sie verband  damit bestimmte Assoziationen. Zum Beispiel  erinnerte sich ihre Mutter bei der Farbe Lila an einen lilafarbenen Rucksack, den sie von einer ihrer Töchter zum 50. Geburtstag geschenkt bekam. Und welche Gefühle damit verbunden waren.

Ich stelle mir vor, dass Ihre Arbeit sehr befriedigend sein muss …

Schmitz: Sehr. Diesen Moment mitzuerleben, wenn ein Mensch seine Erfahrung mit einem teilt und sich vertrauensvoll auf die malende Kommunikation einlässt. Und über das Malen für sich einen Erlebnisraum öffnet, der wieder mit dem Leben verbindet oder versöhnt. Und das alles trotz leidvoller Erkrankung.

Ich fühle mich beschenkt, dass ich Menschen auf diese spezielle Weise begleiten kann. Dazu gehört auch, von der Lebensgeschichte berührt zu werden, ohne die therapeutische Aufgabe der Begleitung aus den Augen zu verlieren. Hierfür ist der Malprozess ihrer Mutter beispielhaft.

Ich verstehe das sehr gut, das ist bei mir ja auch nicht anders.

Schmitz:  Die Beziehung ist das, was trägt. Und künstlerisches Tun ist ein wunderbares Beziehungsangebot. Aber auch ihr Angebot, oder Musik, Tanz, Theater, Singen und vieles mehr.

Wie sehen Sie denn Hochsensibilität, wenn ich die Frage mal ganz vage formulieren soll, denn Sie sind doch auch hochsensibel, oder?

Schmitz: In meinem Beruf sollte ich das sein.

Wenn ich Ihnen so zuhöre dann denke ich, Sie können nicht nicht hochsensibel sein. Das geht irgendwie gar nicht. Haben Sie sich damit schon einmal auseinandergesetzt?

Schmitz: Eine Freundin, die selbst Therapeutin ist und mein Buch über ihre Mutter gelesen hat, sagte zu mir: „Weißt du, ich habe dein Buch gelesen. Und dann ein Buch über Hochsensibilität. Das musst Du unbedingt lesen. Du bist auch eine davon!“

Vielen Dank für das Gespräch, liebe Frau Schmitz!

"Eine Rose hält das Gleichgewicht"

„Eine Rose hält das Gleichgewicht“ zeigt die außergewöhnliche Auseinandersetzung einer starken und mutigen Frau mit ihrer schweren Erkrankung. Komplett gelähmt und unfähig zu sprechen, schuf sie bewegende Bilder durch die Hilfe einer Kunsttherapeutin, die das Malen nach genauen Angaben stellvertretend übernahm. Über mehrere Monate hinweg wurde dieser Sterbeprozess durch ein Team verschiedener Berufsgruppen der Pallativversorgung begleitet. Die vorliegende Geschichte ist zwar keine Siegesgeschichte, aber eine Lösungsgeschichte: „Die Rose trägt den Kopf recht eigenwillig und trotzig. Geschwungen, aber mit einer gewissen Kraft. Von hier aus sieht es aus, als sei die Blüte das Nest. Fast wie ein Triumph.“ Kurzbeschreibung und Bestellung:  http://www.malzeit-praxis.de/malzeit-mobil/ Weitere Infos zu Elvira Schmitz
de_DEDeutsch